Sehr große Füße vom Chef und viele winzige Mitarbeiter

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Das Ende des Micromanagements

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Micromanagement ist Gift für Motivation und Produktivität, sagt Matthew Jenkin. Es gibt bessere Möglichkeiten, Mitarbeiter zu motivieren – zum Beispiel, indem man ihnen Vertrauen entgegenbringt.

 

Bevor Apple-Mitbegründer Steve Jobs zum Anführer einer technologischen Revolution wurde, war er für sein Micromanagement berüchtigt. Seine Unfähigkeit, Aufgaben zu delegieren, trug bekannterweise zum wirtschaftlichen Niedergang(1) von NeXT bei, einem Computerunternehmen, das er nach seinem Weggang von Apple im Jahre 1985 an den Start gebracht hatte. Doch er zog eine Lehre aus diesem Misserfolg, und sein neuer Ansatz, die Zügel etwas lockerer zu lassen, erwies sich für seine neue Unternehmung, Pixar, als Schlüssel zum Erfolg. Als er 1997 zu Apple zurückkehrte, hatte er sich zu einer sehr viel besseren Führungspersönlichkeit entwickelt(2).

Heute haben Mitarbeiter dank smarter Technologien – bei denen Jobs eine wichtige Vorreiterrolle spielte – mehr Freiheiten, wenn sie entscheiden, wann, wo und wie sie arbeiten, und zwar ohne dass ihr Chef ihnen dabei im Nacken sitzt. Er wusste es vielleicht nicht, aber Steve Jobs hatte dem Micromanagement den letzten Todesstoß verpasst.

Aber warum ist Micromanagement eigentlich so schädlich für die Geschäftsabläufe, und warum führen autonomere Arbeitsweisen zu einem Anstieg der Produktivität?

Das Problematische beim Micromanagement besteht darin, dass es schon von Natur aus kontraproduktiv ist, erklärt Produktivitätsexpertin Marianne Page. Micromanager sind wahre Kontrollfreaks, die jeden einzelnen Aspekt jedes einzelnen Jobs überwachen wollen. Wenn eine Aufgabe mal nicht gut erledigt wurde, geben sie nicht etwa konstruktives Feedback, sondern kritisieren die Schuldigen und machen die Arbeit oft selbst nochmal neu.

„Das hat zur Folge, dass sich das Team von seiner Arbeit distanziert und die Mitarbeiter das Unternehmen letztendlich verlassen“, erläutert die Bestseller-Autorin von „Simple, Logical, Repeatable“.

„Ich habe das schon sehr oft beobachten können“, fährt Page fort. „In einer Client-Business-Firma, mit der ich im Moment zusammenarbeite, ist einer der Chefs ein absoluter Micromanager. Er ist mit seinem Team total unzufrieden, da es seiner Meinung nach keine Verantwortung übernehmen will. Dabei tut er die Ergebnisse des Teams häufig einfach als „Mist“ ab, statt Feedback zu geben, und er meint dann, er müsse die ganze Arbeit selbst nochmal machen.

Und das tut er immer und immer wieder. Das Ganze geht so weit, dass das Team sich fragt, warum es sich überhaupt noch anstrengen soll – schließlich wird der Chef ja doch wieder alles in der Luft zerreißen und es selbst machen. So haben sie nach und nach ihre Motivation verloren. Die Teammitglieder wissen, dass ihr Chef kein Vertrauen in sie setzt. Und deshalb fragen sie sich, „Welchen Sinn hat das Ganze denn noch? Warum sollte ich mein Bestes geben, wenn auch das immer noch nicht gut genug sein wird?“

Mitarbeiter unter dem Mikroskop

Teure Fehler

Diese Art des Motivationsverlusts kommt Unternehmen teuer zu stehen. Laut „Book 12: The Elements of Great Managing(3)“ kostet Absentismus aufgrund von Motivationsmangel einem 10.000-Mann-starken Unternehmen jährlich 600.000 US-Dollar an Gehaltszahlungen für Tage, an denen keine Leistungen erbracht werden.

Im Gegensatz dazu erscheinen motivierte Mitarbeiter(4) wahrscheinlicher an ihrem Arbeitsplatz, bleiben länger im Unternehmen und sind produktiver. Nach im Buch zitierten Forschungsergebnissen von Gallup(5) zeigen hoch motivierte Teams durchschnittlich eine um 18 Prozent höhere Produktivität und eine um 12 Prozent höhere Rentabilität als weniger motivierte Teams.

Auch psychologisch kann viel Schaden angerichtet werden. Im Rahmen einer Studie der Indiana University Kelley School of Business(6) wurde untersucht, wie sich Stress und der vorherrschende Grad an Kontrolle auf 2.363 Mitarbeiter auswirkten. Beim Vergleich von sehr anspruchsvollen Jobs stellte sich heraus, dass Mitarbeiter, denen weniger Kontrolle gegeben wurde, eine um 15,4 Prozent höhere Sterbewahrscheinlichkeit hatten.

Das Gegenmittel: Autonomie

Wenn also das Micromanagement Gift für Produktivität ist, was ist dann das Gegenmittel? Es ist sehr wichtig, Mitarbeitern Freiheit und Autonomie dabei zu geben, wie sie ihre Arbeit erledigen.

Eine von der American Psychological Association veröffentlichte Studie, die in 63 Ländern mit 400.00 Teilnehmern durchgeführt wurde, kam zu dem Schluss, dass Autonomie und Kontrolle über das eigene Leben wichtiger für das persönliche Glück sind als Geld(7). In einem Arbeitskontext heißt das, dass wir das Gefühl haben möchten, Kontrolle zu haben – und zwar nicht nur über unsere Arbeit, sondern auch über unsere Zeit.

„Die Menschen sind meistens dann am glücklichsten, wenn sie sich selbst wie ein Unternehmer innerhalb des Unternehmens fühlen“, glaubt John Lees, Karriereexperte und der Autor von „How to get a job you love“. „Sie brauchen das Gefühl, dass sie die Dinge zu einem gewissen Maße selbst in der Hand haben und über Handlungsfreiheit verfügen.“

Flexibilität spielt eine wichtige Rolle, und Mitarbeiter mit flexiblen Arbeitsplänen empfinden ein größeres Wohlbefinden(8) als diejenigen, die weniger Kontrolle über ihre Arbeitszeiten und ihren Arbeitsort haben. Und in der Tat: Eine vom Kommunikationsspezialisten Maintel(9) durchgeführte Studie mit 1.000 befragten Angestellten zeigte auf, dass flexible Arbeitsrichtlinien als ein wichtiger Pluspunkt für den Arbeitsplatz angesehen werden. 64 Prozent der mobilen Angestellten gaben an, dass sie sich nicht von Micromanagement betroffen fühlen, und 58 Prozent sagten, dass sie sogar noch weniger Zeit in einem Büro verbringen würden, wenn sie könnten.

Emanzipierte Mitarbeiter

Eine der größten Vorteile einer größeren Autonomie bei Mitarbeitern steht in Zusammenhang mit der Anwerbung und Bindung von jungen Talenten. Gregory Blondeau, Gründer des Tech-Unternehmens Proxyclick, ist davon überzeugt, dass Arbeitgebern die Anwerbung von sogenannten „Millenials“ niemals gelingen wird, wenn sie diese zu stark überwachen. Außerdem, so sagt er, gibt es in erfolgreichen Unternehmen keinen Platz für Micromanagement.

In seinem in Brüssel sitzenden Unternehmen gibt es deswegen für die Mitarbeiter keine starren Regel für Arbeitsort und Arbeitszeiten. Seiner Meinung nach macht es keinen Unterschied, ob seine Mitarbeiter remote oder vom Schreibtisch im Büro aus arbeiten. Einige seiner Mitarbeiter sitzen sogar in anderen Ländern, z. B. in Portugal und Kanada. „Wenn du deinen Mitarbeitern erlaubst, ihr Arbeitsleben flexibel zu gestalten, wird es sich für dich auszahlen“, sagt er.

Natürlich muss dafür das erforderliche Vertrauen zwischen dem Arbeitgeber und seinen Mitarbeitern vorhanden sein. Und laut Blondeau spielt Technologie dabei eine wichtige Rolle. Für die Verwaltung von Vertrieb und Geschäftspartnerschaften werden in seinem Unternehmen Kollaborationstools wie Slack und ein CRM(Customer Relationship Management)-System genutzt.

Er erklärt: „Ich weiß, wie viele Anrufe meine Leute getätigt und an wie vielen Meetings sie teilgenommen haben, und darüber ist sich auch jeder bewusst. Das führt zu Transparenz. Es gibt Möglichkeiten, auf eine für alle offene und transparente Weise mitzuverfolgen, was die Mitarbeiter so treiben – und das hilft.“

Angesichts der Tatsache, dass die Arbeit im Homeoffice immer beliebter wird, scheinen die Tage des Micromanagers gezählt zu sein. Marianne Page glaubt, dass mit der richtigen Schulung und den richtigen Weiterentwicklungsmaßnahmen selbst in den schlimmsten Fällen für Abhilfe gesorgt werden kann.

„Je schneller wir Managern beibringen, ihre Mitarbeiter, und Teams in die kontinuierliche Verbesserung ihres Unternehmens einzubeziehen, umso besser fällt das Ergebnis für alle Beteiligten aus“, erklärt sie. „Man muss keine Angst davor haben, die Leute selbst denken zu lassen. Im Gegenteil – es sorgt für mehr Spaß und Produktivität. Es ist sehr wichtig, dass jeder sein volles Potenzial entfaltet.“


 

Matthew Jenkin ist freier Journalist aus Großbritannien und ehemaliger Redakteur von Guardian Careers, dem Online-Portal rund ums Thema Arbeit der britischen Tageszeitung The Guardian.

Quellen:

(1) http://www.nytimes.com/2010/10/03/business/03digi.html

(2) http://bit.ly/fvxbTe

(3) https://www.gallup.com/press/176450/elements-great-managing.aspx

(4) http://www.hbsp.harvard.edu/hbsp/hbo/articles/article.jsp?articleID=R0507J&ml_action=get-article&pageNumber=1&ml_subscriber=true

(5) http://www.gallup.com/

(6) http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/peps.12206/pdf

(7) http://www.apa.org/news/press/releases/2011/06/buy-happiness.aspx

(8) http://www.asanet.org/documents/press/pdfs/
ASR_June_2014_Minnesota_News_Release.pdf

(9)http://www.maintel.co.uk/