Musterhäuser aus Holz vor einem Laptop

Produktivität

Die überraschende Wahrheit über das Arbeiten von Zuhause

Lesedauer:  6 Minuten

Laut Berichten(1) ist die Zahl der Menschen, die von zu Hause aus arbeiten, innerhalb von zehn Jahren um 115 Prozent angestiegen. Leider gibt es jedoch nicht das eine Modell, das zu jedem Arbeitnehmer – oder Arbeitgeber – passt. Matthew Jenkin untersucht im Folgenden die Vor- und Nachteile von Heimarbeit und kommt zu einer unerwarteten Schlussfolgerung.

 

Tragen Sie, was Sie wollen, wählen Sie Ihre Arbeitszeiten selbst und pendeln Sie nie wieder zur Arbeit – Personen, die von zu Hause aus arbeiten, werden von Angestellten, die im Büro arbeiten, auf der ganzen Welt beneidet. Es klingt vielleicht bequemer, den Anzug gegen einen Pyjama einzutauschen – aber führt dies wirklich zu einer Steigerung Ihrer Produktivität?

Eine Rekordzahl an Personen in den USA(2) und im Vereinigten Königreich(3) arbeiten inzwischen von zu Hause aus – und Experten vermuten, dass diese Zahl noch weiter wachsen wird. Forschungen des in Boston ansässigen Beratungsunternehmens Strategy Analytics lassen vermuten, dass die Zahl der Beschäftigten weltweit, die ortsungebunden arbeiten, von etwa 38,8 Prozent aller Arbeitnehmer im Jahr 2016 so stark anwachsen wird, dass sie im Jahr 2022 bereits bei 42,5 Prozent liegt. Eine weitere Studie zeigt, dass in 10 Jahren ein Drittel aller Arbeitnehmer von zu Hause aus arbeiten wird.

Derartige Zahlen sind nicht unbedingt überraschend. Im Rahmen einer von der US-amerikanischen Job-Website Flexjob im vergangenen Jahr durchgeführten Studie wurde herausgefunden, dass Remote Work der am häufigsten angestrebte Vorteil ist. 81 Prozent der Arbeitnehmer wählen diese Art der Flexibilität im Hinblick auf ihre Arbeit am häufigsten, wenn es um die Benennung des größten Vorteils geht. Mehr und mehr Unternehmen reagieren auf die wachsende Nachfrage, indem sie ihren Angestellten Arbeit von zu Hause oder einem anderen Ort aus als Option anbieten. Im vergangenen Jahr kündigte Amazon an, dass es bis zum Jahresende 5.000 ortsungebundene Arbeitnehmer einstellen werde(7). Darüber hinaus hat Apple vor Kurzem eine Job-Anzeige veröffentlicht, in der das Unternehmen Personal für Stellen sucht, die das Arbeiten von zu Hause aus beinhalten.

Mehr Einsatz

Dem ersten Anschein nach gibt es überzeugende Gründe für Heimarbeit. Ein wachsender Forschungsbestand legte nahe, dass ortsungebundene Angestellte, einschließlich Heimarbeiter, im Hinblick auf Ihre täglichen Aufgaben effektiver arbeiten als ihre Kollegen, die im Büro arbeiten. In einer auf der chinesischen Reise-Website Ctrip veröffentlichten Studie aus dem Jahr 2014 wurde die Produktivität der Arbeitnehmer, die regelmäßig aus der Ferne arbeiten, mit der Produktivität derjenigen verglichen, die ausschließlich im Büro arbeiten. Das Ergebnis war, dass die Remote-Arbeiter 13,5 Prozent mehr Verkaufsanrufe tätigten als vergleichbare Angestellte, die vor Ort im Büro arbeiteten.(9) Außerdem kündigten die Remote-Arbeiter nur halb so oft ihren Job wie Angestellte, die im Büro arbeiteten, und berichteten eine deutlich höhere Zufriedenheit in Bezug auf ihren Job.

Laut einer 2016 durchgeführten Umfrage unter amerikanischen Remote-Arbeitern sind 91 Prozent der Heimarbeiter der Ansicht, dass sie produktiver sind, wenn sie sich in einem Büro befinden(10). Weiterhin wurde im Rahmen einer Studie der Canada Life Gruppe festgestellt, dass Heimarbeiter Ihre Produktivität mit 7,7 von 10 möglichen Punkten bewerteten. Im Vergleich dazu haben Personen, die in einem Großraumbüro arbeiten, Ihre Produktivität mit nur 6,5 Punkten bewertet. Eine kürzlich durchgeführte Gallup-Studie hat zudem gezeigt, dass Arbeitnehmer, die drei bis vier Tage pro Woche von zu Hause aus arbeiten, sich häufiger "beschäftigt fühlten" und seltener "nicht beschäftigt" als Personen, die jeden Tag im Büro arbeiten(12).

Fehler im System

Und dennoch gilt: trotz der Eile vieler Angestellter, Heimarbeit für sich zu entdecken, ist nicht jeder von dieser Methode überzeugt. Eine LSE-Studie, bei der mehr als 500 Angestellte und Führungskräfte(13) zu ihrer Einstellung zum Thema flexibles Arbeiten befragt wurden, hat gezeigt, dass viele der positiven Effekte mit der Zeit abnehmen. Arbeitnehmer betrachteten das Arbeiten von zu Hause nicht länger als ein Privileg und zeigten zunehmend ähnliche Ergebnisse wie Angestellte, die vor Ort im Büro arbeiteten.

Man war der Auffassung, dass es an professioneller Unterstützung durch den Arbeitgeber mangelte. Forschungen haben zudem gezeigt, dass mit Kollegen nicht genügend kommuniziert wurde und ein Mangel an Interaktionen von Angesicht zu Angesicht vorlag. Infolgedessen nahmen Arbeitnehmer es ihren Arbeitgebern übel, dass diese ihre berufliche Weiterentwicklung möglicherweise hemmten und fühlten sich dem Unternehmen, für das sie arbeiteten, weniger stark verbunden.

Gestützt werden diese Forschungen durch die Tatsache, dass Großunternehmen wie IBM und Yahoo ihre Remote Working-Richtlinien korrigiert haben, da diese in der Folge ein Rückgang der Produktivität beobachteten.

Das Problem, das sich aus der Heimarbeit ergibt, ist teilweise darauf zurückzuführen, dass es die menschliche Psyche nicht grundlegend verändert. Wenn man im Büro unproduktiv ist, dann ist es unwahrscheinlich, dass sich dieser Zustand ändert, sobald man von zu Hause aus arbeitet – wo es zahlreiche andere Ablenkungen gibt, seien es der Fernseher, zu erledigende Hausarbeit oder der halb gegessene Käsekuchen im Kühlschrank. Man muss immer noch Taktiken und Strategien parat haben, die einem dabei helfen, effektiv zu arbeiten.

Tatsächlich berichteten Teilnehmer einer 2017 von Regus durchgeführten Umfrage, dass sie das Arbeiten von zu Hause aus einsam macht, da Interaktionen mit Kollegen ausblieben und stattdessen der Kühlschrank geplündert werde. Darüber hinaus ärgere man sich ständig über Lärm durch Familienmitglieder.

Eine Frau, die gut gelaunt von zu Hause aus arbeitet

Während sich die Produktivität beim Arbeiten von zu Hause aus verbessern könnte, so könnte sich gleichzeitig auch das Gefühl von Isolation und Einsamkeit verstärken.

 

Kollaborative Büroräume

Vielleicht könnte ein flexibler Arbeitsplatz die Lösung sein: Hierbei können zum einen die positiven Auswirkungen, die das Remote Working auf die Produktivität hat, genutzt werden. Zum anderen läuft man nicht Gefahr, nur noch zusammengesackt vom Sofa aus zu arbeiten. Somit ist es nicht überraschend, dass, nun, da Fern- oder Heimarbeit zugenommen hat, der Bedarf nach Coworking-Arbeitsräumen, in denen Mitglieder einer Community zusammenarbeiten und sich mit Gleichgesinnten vernetzen können, ebenfalls gestiegen ist. 2017 gab es 15.500 Coworking Spaces weltweit(15). Im Jahr zuvor waren es noch 12.100. Für dieses Jahr wird eine Anwachsen auf bereits 18.900 Coworking Spaces erwartet.

Barnaby Lashbrooke, Gründer des virtuellen Assistenten Time etc(16), glaubt, dass das Büro noch lange nicht aussterben wird und für viele Menschen einen Arbeitsplatz darstellt, an dem sie produktiv sind. In seinem eigenen Unternehmen hat er von Anfang an erkannt, dass nicht alle seine Angestellten am produktivsten sein würden, wenn sie von zu Hause aus arbeiteten. Somit war Heimarbeit lediglich eine von mehreren möglichen Optionen. Lashbrooke weist darauf hin, dass einige Unternehmen und Mitarbeiter sich zu schnell für Heimarbeit entscheiden ohne sich darüber Gedanken zu machen, ob diese Form des Arbeitens der Persönlichkeit der Betroffenen entspricht.

„Heimarbeit sollte auf den Einzelnen zugeschnitten sein," sagt er. „Verordnet man der breiten Masse an Mitarbeitern Heimarbeit ohne die Situation zuvor entsprechend zu evaluieren, läuft man Gefahr, Menschen, die aus der Interaktion mit anderen Menschen Energie schöpfen, zu isolieren, was vermutlich keine guten Resultate mit sich bringen wird."

Eine der größten Herausforderungen für Personen, die von zu Hause arbeiten, ist eindeutig, Gelegenheiten zur sozialen Interaktion zu finden. Kudzi sagt, dass das Arbeitsumfeld – sei es in Form eines traditionellen Büros oder Coworking Spaces – immer noch die Oberhand hat, wenn es darum geht, Meetings zu vereinfachen und wichtige Kontakte zu knüpfen.

„Häufig sind es die „Wasserspender-Momente", in denen informelles Coaching stattfindet. In diesen Situationen erfährt man auch viele Dinge, die das Unternehmen betreffen," sagt sie. „Ich denke, dass einige Aspekte, die das Arbeiten im Büro mit sich bringt, von hoher Bedeutung sind. Selbst, wenn man für sich alleine arbeitet, ist es wichtig, Zeiten einzubauen, in denen man sich mit anderen Menschen umgibt, mit denen man sich ungezwungen unterhalten kann."

Die Balance finden

Die Idee der Heimarbeit muss nicht insgesamt verworfen werden – es geht mehr darum, die Balance zu finden. Vielleicht könnte man Meetings und Arbeit, bei der Deadlines eingehalten werden müssen, in ein Gemeinschaftsbüro verlegen. Projekte, die mehr Kreativität erfordern sowie Aufgaben, an denen man alleine ohne ein Team arbeitet, könnten hingegen im Homeoffice ausgeführt werden.

Psychologisch betrachtet ist es bereits hilfreich, nicht länger davon auszugehen, dass Heimarbeit sich grundlegend von der Arbeit im Büro unterscheidet. Judy Heminsley, Gründerin des Lifestyle-Blogs „All Things Bright & Good" und Autorin des Buches „Work from Home" sagt, dass viele Heimarbeiter es zunächst schwierig finden, die Routine, die ein Nine-to-five-Job mit sich bringt, abzulegen. Somit halten sie diese Routine zunächst aufrecht.

„Viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, sagten mir, dass sie einige Jahre gebraucht haben, um sich von der Nine-to-Five-Routine zu lösen," erklärt Heminsley. „Menschen folgen dieser Routine seit dem Zeitalter der industriellen Revolution. Sie ist zur gesellschaftlich akzeptierten Gewohnheit geworden. Wenn man anfängt, ortsungebunden zu arbeiten, muss man erst einmal Selbstvertrauen aufbauen."

Egal, von wo aus man arbeitet. Um als Heimarbeiter maximal produktiv sein zu können, sollte der Tag gut durchstrukturiert sein, gibt Business Coach Ruth Kudzi zu Bedenken. „Man muss seine Aufgaben gut planen und regelmäßig Pausen einlegen. Zudem sollte man sich auf eine Sache zur Zeit konzentrieren," empfiehlt Kudzi. „Man ist zwar nicht an Bürozeiten gebunden, muss jedoch für sich selbst entscheiden, wann man am produktivsten und diszipliniertesten ist."

 


Matthew Jenkin ist freier Journalist aus Großbritannien und ehemaliger Redakteur von Guardian Careers, dem Online-Portal rund ums Thema Arbeit der britischen Tageszeitung The Guardian.

Quellen:

(1) https://www.flexjobs.com/2017-State-of-Telecommuting-US/

(2) http://money.cnn.com/2017/06/21/pf/jobs/working-from-home/index.html

(3) https://www.tuc.org.uk/news/home-working-fifth-over-last-decade-tuc-analysis-reveals

(4) https://www.strategyanalytics.com/strategy-analytics/news/strategy-analytics-press-releases/strategy-analytics-press-release/2016/11/09/the-global-mobile-workforce-is-set-to-increase-to-1.87-billion-people-in-2022-accounting-for-42.5-of-the-global-workforce#.Wv28O0gvw2w

(5) https://www.inc.com/suzanne-lucas/survey-most-companies-lack-a-telecommuting-policy-heres-how-to-get-yours-started.html

(6) https://www.cnbc.com/2018/01/04/the-top-25-companies-that-will-let-you-work-from-anywhere.html

(7) https://www.cnbc.com/2017/04/17/amazon-is-hiring-5000-remote-workers-this-year–but-theres-a-catch.html

(8) https://www.apple.com/jobs/us/aha.html

(9) https://hbr.org/2014/01/to-raise-productivity-let-more-employees-work-from-home

(10) https://www.forbes.com/sites/victorlipman/2016/05/02/are-remote-workers-happier-and-more-productive-new-survey-offers-answers/#32fb739e6663

(11) http://autotime.co.uk/homeworkers-more-productive-than-office-based-staff/

(12) https://www.nytimes.com/2017/02/15/us/remote-workers-work-from-home.html

(13) http://etheses.lse.ac.uk/3349/

(14) https://www.forbes.com/sites/carolkinseygoman/2017/10/12/why-ibm-brought-remote-workers-back-to-the-office-and-why-your-company-might-be-next/#6350779316da

(15) https://www.statista.com/statistics/554273/number-of-coworking-spaces-worldwide/

(16) https://web.timeetc.co.uk/virtual-assistant/index.php?kw=a%2520personal%2520assistant&ref=Google-1&gclid=EAIaIQobChMI6qne4b6N2wIVA_hRCh2CeQ8vEAAYASAAEgJNMfD_BwE