Produktivität

Offene Konzepte überdenken – neue Gedanken zu produktiven Räumen

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Großraumbüros sind für viele Unternehmen, die ihren Raum optimal nutzen, Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern fördern und traditionelle Hierarchien abbauen wollen, zur neuen Norm geworden.

Aktuelle Forschungsergebnisse fechten jedoch die Idee an, dass Großraumbüros als sicherer Weg zu mehr Produktivität dienen. Statt ein Gegenmittel gegen die Ineffizienz abgegrenzter Büros darzustellen, können die Mitarbeiter in Großraumbüros von Ablenkungen geplagt und durch die fehlende Privatsphäre zurückgehalten werden.

Genslers 2016 Workplace Survey hat gezeigt, dass sich 67 Prozent der Arbeitskräfte in Großbritannien aufgrund ihrer Büroumgebung am Ende jedes Arbeitstages ausgelaugt fühlen. Zudem unterdrücken schlecht gestaltete Büros Geschäftsinnovationen: Obwohl über acht Millionen Arbeitskräfte in Großbritannien in Großraumbüros arbeiten, bieten viele davon keine Abwechslung oder Auswahlmöglichkeiten und sind nicht an bestimmte Aufgaben und Verfahrensweisen angepasst.

„Abgegrenzte Büroräume sollten kein Feindbild darstellen”, sagt Philip Tidd von Gensler. „Auf eine einfache, offene Gestaltung umzusteigen, ist an den übermäßig vernetzten Arbeitsplätzen von heute möglicherweise nicht die beste Option.”

 

Ablenkung und Unzufriedenheit

Dr. Nicola J. Millard verbindet Psychologie und Zukunftsforschung, um Erkenntnisse über die Arbeit bei BT zu gewinnen, und glaubt ebenfalls, das herkömmliche Großraumbüros ineffizient sind. In ihrem Whitepaper Workshift: The Death of Dolly, Dilbert and Doctor No argumentiert Millard, dass wir im Büro ständig gestört werden – genauer gesagt alle drei Minuten – und dass das zum größten Teil am Bürodesign liegt.

„Großraumbüros sind eine Lösung in Einheitsgröße, die niemandem wirklich passt”, erklärte Millard kürzlich auf einer New Scientist Live-Konferenz. „Wir werden alle drei Minuten gestört. Es dauert zwischen acht und 20 Minuten, wieder in den Gedankengang hineinzufinden. E‑Mails. Wir bekommen zu viele davon. Meetings, Kollegen. All das lenkt ab.”

Eine Studie von Forschern der University of Sydney aus dem Jahr 2013, Workspace satisfaction: The privacy-communication trade-off in open-plan offices, die im Journal of Environmental Psychology veröffentlicht wurde, zeigt, dass unkontrollierbarer Lärm und der Verlust der Privatsphäre die Hauptquellen von Unzufriedenheit mit dem Arbeitsplatz in Großraumbüros sind.

„Offene Bürokonzepte wurden in den letzten Jahren als ein Weg angepriesen, die Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz und die Effektivität von Teams zu steigern”, sagt der Autor Jungsoo Kim. „Wir haben jedoch festgestellt, dass Menschen in Großraumbüros mit ihrer Arbeitsumgebung unzufriedener sind als in jene in privaten Büros. Die Vorteile der Nähe zu Kollegen in Großraumbüros wurden von Faktoren wie erhöhter Lärmbelastung und verringerter Privatsphäre überwogen.”

 

Niedrigere Produktivität, häufigeres Fernbleiben

Des Weiteren zeigte ein BBC-Bericht von Januar 2017, dass Mitarbeiter in Großraumbüros 15 Prozent weniger produktiv waren als jene, die in Bürozellen arbeiteten, und dass die Wahrscheinlichkeit krank zu werden doppelt so hoch lag, da Krankheiten in Großraumbüros einfacher übertragen werden. Dies kann zu häufigerem Fernbleiben führen.

Im Gespräch mit BBC sagte Sally Augustin, eine Umgebungs- und Designpsychologin von Design with Science in Illinois, dass wir unsere beste Arbeit trotz unserer Fähigkeit, in unruhigen Umgebungen zu arbeiten, bei völliger Konzentration abliefern: „Es ist eine Schande, Menschen zu verschwenden, indem man ihnen keinen Raum bietet, der ihre tatsächliche Tätigkeit unterstützt.”

 

Die Vorteile

Das heißt jedoch nicht, dass die Arbeit in Großraumbüros keine Vorteile hat. Solche Büros können Kosten sparen – laut Wall Street Journal bis zu 50 Prozent pro Mitarbeiter im Vergleich zu traditionelleren Bürokonzepten – und die Kohlenstoffbilanz senken. Zudem gibt es mehr Gelegenheiten, Kontakte zu knüpfen, in Teams zu arbeiten oder sich von Kollegen helfen zu lassen.

Im Vergleich zu einzelnen kleineren Büros können Arbeitgeber ein Großraumbüro einfacher neu gestalten und möglicherweise sogar Raum an ein anderes Unternehmen untervermieten.

Statt jedoch das traditionelle Büro abzuschaffen, sollten sich Arbeitgeber erwiesenermaßen darauf konzentrieren, flexible Arbeitsumgebungen anzubieten, die an unterschiedliche Aufgaben, Arbeitsstile und Vorlieben der Mitarbeiter angepasst sind. Gensler sagt, dass effektive Bürolösungen die Bedürfnisse von Einzelpersonen und Teams mit einer ausgeglichenen Umgebung aus Räumen für Konzentration und Zusammenarbeit unterstützen müssen. „Sie müssen das Richtige für Ihr jeweiliges Unternehmen tun und die Art und Weise, wie Ihre Mitarbeiter arbeiten”, erklärt Tidd. „Wenn Sie dieses Gleichgewicht schaffen können, wird dies merkliche Auswirkungen auf die Produktivität, Kreativität und Innovation der Mitarbeiter haben.”

 

Raum zum Denken

Unternehmen wie Microsoft investieren in eine Mischung aus offenen und privaten Räumen mit separaten Ruhebereichen oder schalldichten Konzentrationsräumen, die bei Bedarf zur besonderen Konzentration oder für Telefonate zur Verfügung stehen. „Die Welt hat den Schwerpunkt auf Zusammenarbeit gelegt und alle Leute zusammen in einen großen Raum geworfen, aber man muss sich mehr Gedanken machen”, sagt Martha Clarkson, Microsofts Strategin für globale Arbeitsräume. „Menschen eine gemeinschaftliche Umgebung zu bieten, funktioniert nur, wenn man auch Privatsphäre ermöglicht. Sie benötigen andere Bereiche zum Denken, beispielsweise Konzentrationsräume, Lounges, Innenhöfe oder Gehbereiche im Freien.”

Dr. Millard glaubt ebenfalls an die Notwendigkeit eines Gleichgewichts zwischen „wir” und „ich” und eines größeren Abwechslungsreichtums an Optionen, wie Menschen arbeiten können. Sie weist auf eine steigende Tendenz zu etwas zwischen dem Zuhause und einem Büro hin, das den Spitznamen „Coffice“ erhalten hat – Räume, die sowohl angenehme Arbeitsumgebungen als auch Gesellschaft und Verbundenheit bieten, von informellen Cafés und Hotelfoyers zu formelleren Arbeitszentren mit allen Annehmlichkeiten eines Büros. „Ich glaube, wir müssen beginnen, das ‘Coffice’ anzunehmen”, sagt sie. „Ich brauche guten Kaffee, Konnektivität, Kuchen und meine Wi‑Fi-Flügel, die mich in die Cloud tragen. Ich mag Gesellschaft. Das „Coffice” könnte zum Beispiel ein Café oder eine Hotellobby sein."

Statt nach einer Alternative zum offenen Konzept zu suchen, das sich Ihr Unternehmen zu eigen gemacht hat, können Sie auch innovative Wege finden, Ablenkungen zu vermeiden oder mit der offenen Arbeitsumgebung umzugehen. Unterstützen Sie Ihre Konzentration, indem Sie vermeiden, lange Zeit still an Ihrem Schreibtisch zu sitzen: Machen Sie einen energischen Spaziergang oder finden Sie einen privateren Ort im Büro. Als letzter Ausweg können Sie auch in starken Kaffee oder sogar gute Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung investieren, schon allein, um Ihren Kollegen zu signalisieren, dass Sie mehr als drei Minuten ohne Unterbrechungen benötigen, um Ihre Arbeit zu erledigen.