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Unternehmer im Porträt: Nicholas Oliver

Lesedauer:  4 Minuten

Nicholas Oliver ist der preisgekrönte Gründer und CEO des Tech-Start-ups people.io, einer innovativen App, die Verbraucher dafür belohnen will, dass sie die Hoheit über ihre eigenen Daten übernehmen. Das ist die Entstehungsgeschichte seines Unternehmens:

 

Die Idee

Oliver kommt aus dem Bereich Onlinemarketing und -werbung und hat unter anderem beim weltweit agierenden Werbekonzern WPP gearbeitet. In dieser Zeit begann er, sich für den Kampf um die Datensicherheit im digitalen Zeitalter zu interessieren. Angesichts der zunehmenden Nutzung von Ad-Blockern in Großbritannien (ein Anstieg um 82 Prozent in 2015) wollte er eine Möglichkeit finden, die sogenannte „Aufmerksamkeitsökonomie“ der Onlinewerber und -publisher mit der Kontrolle der Verbraucher über ihre eigenen Daten unter einen Hut zu bringen.

Ihm kam die Idee, Privatpersonen zu helfen, Werbefirmen Nutzungsrechte an ihren persönlichen Daten einzuräumen, und so ein Win-Win-System aufzubauen. „In den letzten Jahren habe ich mich mit dem Konzept der Aufmerksamkeitsökonomie befasst und damit, wie verschiedene Faktoren, einschließlich Ad-Blocker, den unmittelbaren Wert der Aufmerksamkeit einer Person in die Höhe treiben“, so Oliver in einem Interview mit TechCrunch. „Das Aha-Erlebnis hatte ich, als ich überlegte, wie sich Datenhoheit und Aufmerksamkeitsökonomie verbinden ließen.“

 

Die Mission

Oliver fasst das Ziel von people.io als „Firewall für Menschen“ zusammen: So wie eine Firewall die Daten auf Ihrem Computer schützt, schützt sein Service die mit Ihrer Online-Identität verknüpften Informationen. Er will sicherstellen, dass die Menschen die Hoheit über ihre personenbezogenen Daten behalten und selbst bestimmen, wie, wann, wo und von wem diese Daten genutzt werden.

Für Werber besteht der Reiz darin, dass sie die Empfänger ihrer Botschaften gezielter mit aktuellen, genauen Informationen ansprechen und obendrein Ad-Blocker umgehen können, ohne gegen Datenschutzgesetze zu verstoßen. „Die Hoheit und Kontrolle über die eigenen Daten wird eine der wichtigsten gesellschaftlichen, ökonomischen und technologischen Herausforderungen der nächsten fünf bis zehn Jahre sein“, so Oliver in einem Beitrag auf LinkedIn. „Unsere Mission ist es, den Leuten klarzumachen, wie viel ihre Daten – sowohl aus empirischer als auch kommerzieller Sicht – tatsächlich wert sind.“

 

Die Herausforderung

Warum brauchen wir überhaupt mehr Kontrolle über die Nutzung unserer persönlichen Daten? Im Gespräch mit The Memo sagte Oliver: „Das eigentliche Problem mit Daten und Datenschutz in der heutigen Zeit ist, dass es eine ganze Bandbreite betrifft, die vom Laden an der Ecke, der Ihnen mehr Süßigkeiten verkaufen will, bis hin zur NSA reicht. Momentan gibt es keine Abstufungen oder Kontrolle: Wenn Sie Ihre Daten auf Facebook oder Google stellen, können alle einfach darauf zugreifen.“

Das kann die Nutzer so sehr beunruhigen, dass sie sich entweder von Diensten, die ihre persönlichen Daten nutzen, abmelden oder die „störende, aufdringliche“ Onlinewerbung zu hassen beginnen, was deren Effektivität untergräbt, wie die Unternehmenswebsite aufklärt. People.io will dem „Kontrollproblem“ mit einer besseren Lösung als komplizierten, verwirrenden Einstellungen oder dem Verzicht auf Onlineinformationen und -produkte beikommen.

 

Die Lösung

Mithilfe einer App will people.io den Nutzern die Kontrolle zurückgeben, „indem sofort ein Gefühl der Wertschätzung erzeugt wird: Der Eindruck, belästigt zu werden, wird durch die Freude über die Belohnung gemildert.“ Mit der Zeit soll sich „dieses Gefühl der Wertschätzung über die greifbaren Belohnungsmechanismen hinaus weiterentwickeln und durch die Bereicherung des realen oder virtuellen Lebens eines Menschen zu einem immanenten Wert werden.“

Den Menschen die Kontrolle über ihre Daten zurückzugeben, ist für people.io angesichts wachsender Bedenken über den Datenschutz im Internet, der zunehmenden Beliebtheit von Ad-Blockern und politischer Antworten wie der kommenden EU-Datenschutz-Grundverordnung, die voraussichtlich enorme Auswirkungen für Onlinewerber haben wird, eine der wenigen umsetzbaren Lösungen. Das Unternehmen ist der Überzeugung, dass man mit den jährlich in Großbritannien für Werbung ausgegebenen 16,2 Milliarden Pfund „die Leute dafür bezahlen könnte, dass sie sich Gedanken um ihre Daten machen.“

 

So funktioniert es

Das Produkt funktioniert folgendermaßen: Die Nutzer der App werden dafür belohnt, dass sie einen Teil ihrer Daten und Aufmerksamkeit bereitstellen, indem sie Fragen beantworten und mit Marken interagieren. Das so erworbene Guthaben können sie dann direkt zum Kauf digitaler Produkte, Abos oder Gutscheine verwenden oder für gute Zwecke spenden. 

Entscheidend ist dabei, dass das Unternehmen das Vertrauen seiner Nutzer gewinnt, indem es zusagt, zu keinem Zeitpunkt personenbezogene Daten an Dritte weiterzugeben. Die Nutzer behalten also die Hoheit über ihre Daten – bei Löschung des Kontos werden auch alle Daten gelöscht – und das Unternehmen legt offen, wie es diese nutzt.

Wer gelernt hat, dass eine gewisse Paranoia bezüglich der eigenen Daten gesund ist, wird sich an den Gedanken, diese freiwillig an Werbefirmen auszuhändigen, erst einmal gewöhnen müssen. Doch mit der Zusicherung, die Kontrolle zu behalten, und dem Anreiz, mit wertvollen Prämien entlohnt zu werden, will people.io die Spielregeln in Sachen Daten und Werbung ändern.

 

 

Das Unternehmen

Oliver gründete das Start-up im August 2015 im Ost-Londoner Technologiezentrum Shoreditch. Für die erste Entwicklungsstufe des Projekts akquirierte er 150.000 Pfund von privaten Investoren und europäischen Unternehmern, wie z. B. Thomas Höegh (Gründer von Lovefilm, Arts Alliance und Growth Street) und Nick Robertson (Gründer von ASOS). Weiteres Startkapital kam von der Founders Factory (einem von Brent Hoberman und Henry Lane-Fox geführten Start-up-Incubator und ‑Accelerator) sowie Wayra Deutschland (der Abteilung für Seed Investment und Acceleration von Telefónica).

Seit die Datenplattform Anfang 2017 in Großbritannien an den Start ging, wächst und wächst das Unternehmen. Derzeit wirbt es um Mittel für die europaweite Ausdehnung seiner Aktivitäten. Im Juli 2017 war die App der Aufsteiger im britischen iTunes Store und auf Platz vier in der Kategorie Lifestyle-Apps. Die Fachzeitschrift Marketing Week nahm sie in ihre Liste der 100 revolutionärsten Marken auf. Vor Kurzem ging das Unternehmen eine Partnerschaft mit Telefónica Deutschland ein, um eine an den deutschen Markt angepasste Version seiner App namens  o2 GET  herauszubringen.

 

Nicholas Oliver

Mit gerade mal 30 Jahren hatte Oliver schon leitende Positionen bei internationalen Werbekonzernen (WPP), Fortune-50-Unternehmen (Ford Motor Company) und Start-ups auf drei Kontinenten inne. 2016 wurde er mit dem NASDAQ Rising Star Award ausgezeichnet und aktuell gehört er dem Cloud, Data, Analytics & AI Council von TechUK an, der 950 Unternehmen der britischen Technologiebranche vertritt.

Wenn er gerade nicht das Wachstum seines Unternehmens ankurbelt, spricht Oliver weltweit bei Veranstaltungen wie z. B. dem Disruption Summit Europe über Datensicherheit oder er schreibt leidenschaftlich über aktuelle Themen rund um den Wert personenbezogener Daten. In einem kürzlich erschienenen Beitrag mit dem Titel Bankrupting society: the real value of personal data („Gesellschaftlicher Bankrott: Der wahre Wert persönlicher Daten“) schrieb er: „Kann ich Ihnen sagen, wie viel die Daten eines Menschen genau wert sind? Nein. Stattdessen würde ich nach dem Preis fragen, den wir für den Kontrollverlust über unsere Daten zahlen. Ohne Kontrolle riskieren wir nicht nur, dass Technologieunternehmen ein fundamentales Ungleichgewicht in unserer Weltwirtschaft hervorrufen, sondern setzen auch die freie Gesellschaft als Ganzes aufs Spiel.“