Das Spielbrett eines Leiterspiels

Produktivität

Offiziell bestätigt: Flexible Arbeit ist gut für die Karriere

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Es ist längst bekannt, dass flexible Arbeit für zufriedene Mitarbeiter sorgt und zufriedene Mitarbeiter produktiver sind. Doch das ist womöglich noch nicht alles. Matthew Jenkin hat sich die Erkenntnisse von Wissenschaftlern und Psychologen zu alternativen Arbeitszeitmodellen angesehen und festgestellt: Sie können die Karriere beflügeln.

 

Nach dem glücklichsten Land der Welt gefragt, käme man sicher nicht sofort auf das dunkle, kalte Finnland mit seinen langen Wintern. Dennoch führte die für ihre unterkühlten Avantgarde-Filme bekannte Nation dieses Jahr die Rangliste im World Happiness Report der UN an.(1)

Auf den folgenden Plätzen landeten deren skandinavische Nachbarn Norwegen, Dänemark und Island, was auf die gemeinsame Vorliebe für entspannende Saunagänge nach einem anstrengenden Tag im Büro zurückzuführen sein könnte. Vielleicht haben aber auch die weit verbreiteten flexiblen Arbeitszeitmodelle und die großzügige Elternzeit zu den hohen Zufriedenheitswerten beigetragen.

Doch ist die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wann, wie und wo man arbeitet, wirklich ein Garant für beruflichen Erfolg und privates Glück?

Die Antwort lautet eindeutig: Ja! Immer mehr Erkenntnisse belegen, dass flexible Arbeitszeiten nicht nur die Work-Life-Balance verbessern, sondern sich auch positiv auf Gehalt und Aufstiegschancen auswirken.

In einer aktuellen Studie der Flex+Strategy Group, die Unternehmen bei der Umsetzung einer flexiblen Arbeitskultur unterstützt, bezeichneten sich 60 Prozent der befragten US-amerikanischen Angestellten mit flexiblen Arbeitsmodellen als „produktiver und engagierter“. 45 Prozent von ihnen gaben an, die Flexibilität würde ihre Fähigkeit verbessern „mit Kollegen zu kommunizieren sowie kreativ und innovativ zusammenzuarbeiten“.(2)

Auch finanziell profitieren Angestellte von flexiblen Arbeitsbedingungen. Einer Erhebung des britischen Centre for Economics and Business Research zufolge ließen sich durch flexible Arbeit die Pendelzeiten um 533 Millionen Stunden pro Jahr verringern. Damit würden Angestellte in Großbritannien jährlich 3,8 Milliarden Pfund (4,3 Mrd. Euro) sparen, bzw. sogar 7,1 Milliarden (8,1 Mrd. Euro), wenn man den Wert der „verpendelten“ Zeit berücksichtigt.(3)

Ein Mensch steigt eine bunte Treppe hinauf

Flexible Arbeit könnte Ihnen beim nächsten großen Karriereschritt helfen.

 

Wer flexibel arbeitet, muss außerdem nicht zwangsläufig weniger verdienen. Aus einem im letzten Jahr veröffentlichten Bericht von Timewise, einer Gruppe, die sich für flexible Arbeit einsetzt, geht hervor, dass durch die zunehmende Beliebtheit der Arbeitsplatzteilung die Zahl der Teilzeitjobs mit einem Jahresgehalt von mehr als 40.000 Pfund (ca. 45.000 Euro) zwischen 2016 und 2017 um fünf Prozent gestiegen ist.(4) Gleichzeitig sind Arbeitgeber immer häufiger bereit, Job-Sharing auch in Führungspositionen einzuführen: Zwei von fünf befragten Managern konnten sich vorstellen, Kandidaten für leitende Funktionen im Rahmen eines solchen Modells einzustellen.

Dass flexible Arbeit keineswegs hinderlich für die Karriere ist, sondern sie vielmehr fördert, untermauert auch eine Untersuchung des IBM Smarter Workforce Institute.(5) Die Studie, an der 3000 männliche und weibliche Fach- und Führungskräfte aus Großbritannien und den USA teilnahmen, ergab, dass die Wahrscheinlichkeit, in den letzten fünf Jahren mindestens zweimal befördert worden zu sein, bei flexibel arbeitenden Angestellten signifikant höher war als bei solchen mit traditionellen Arbeitszeiten (33 Prozent gegenüber 24 Prozent).

Mehr Chancen für Eltern

Von diesen positiven Entwicklungen bei flexiblen Arbeitsmöglichkeiten profitieren insbesondere Eltern. Wenn Mütter und Väter in Teilzeit oder von zu Hause aus arbeiten können, statt von 9 bis 17 Uhr im Büro sitzen zu müssen, fällt ihnen die Rückkehr an den Arbeitsplatz nach langer Abwesenheit leichter und ihre Aufstiegschancen sind größer.

Wie die britische Wohltätigkeitsorganisation Working Families in einer Untersuchung feststellte, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Eltern ihrem Arbeitgeber treu bleiben, 65 Prozent größer, wenn er sie mit flexiblen Arbeitszeiten und anderen Initiativen beim Vereinbaren von Job und Familie unterstützt. 62 Prozent der Befragten bezeichneten sich als motivierter und produktiver und 56 Prozent gaben an, sich besonders ins Zeug zu legen.(6) Eine gemeinsame Studie von Bain & Company und Chief Executive Women ergab zudem, dass Frauen – insbesondere wenn sie Kinder haben – von flexiblen Arbeitszeitmodellen profitieren: Sie sind häufiger in ihrem Job erfolgreich und werden eher befördert.(7)

Dennoch gibt es für Organisationen, die sich für mehr Flexibilität am Arbeitsplatz einsetzen, noch einiges zu tun, bis Eltern optimale Karrierechancen haben. Laut Mubeen Bhutta, Head of Policy and Campaigns bei Working Families, wird flexible Arbeit immer noch als Entgegenkommen oder Bonus angesehen. Sie fordert Arbeitgeber auf, Stellen von vornherein als flexibel auszuschreiben.

Sie erläutert: „Schon bei der Rekrutierung sollten sie überlegen, was der Job beinhaltet, was die Person mitbringen muss und welche Formen der Flexibilität möglich wären, statt mit nachträglichen Änderungen zu versuchen, die Arbeit einer Fünf-Tage-Woche in vier Tage zu quetschen. Genau dadurch wird nämlich das Arbeitspensum später immer schwieriger zu bewältigen.“

Diese Ansicht teilt die Equality and Human Rights Commission. Ihrer Meinung nach ließe sich so auch das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen beseitigen.(8) Die Gruppe schlägt vor, dass Großbritannien dem Beispiel skandinavischer Länder folgt und arbeitenden Vätern mehr bezahlte Elternzeit bietet.(9) So könnten mehr Männer dazu bewogen werden, flexible Arbeitsmodelle zu fordern, was wiederum den Druck auf Frauen verringern würde, länger zu Hause zu bleiben oder ihren Job ganz aufzugeben.

Ähnliche Ergebnisse wie im Bericht der EHRC finden sich in einer Studie des Soziologischen Instituts der Universität Oxford:(10) Diesen zufolge stiegen die Stundenlöhne von Frauen, insbesondere wenn sie Kinder hatten, signifikant an, nachdem ihre Männer begonnen hatten, flexibel zu arbeiten (um 14,2 Prozent binnen vier Jahren). Auch die Stundenlöhne der Männer legten in den folgenden vier Jahren um 7,4 Prozent zu.

Das Streben nach Glück

Zufriedene Mitarbeiter sind erwiesenermaßen 12 Prozent produktiver als unzufriedene.(11) Die Arbeitspsychologin Dr. Roxane Gervais glaubt außerdem, dass flexible Arbeit ein guter Schritt zu mehr Wohlbefinden am Arbeitsplatz ist.

„Wer flexibel arbeitet, kann zwischendurch einfach mal loslassen und hat mehr vom Leben“, sagt sie. „Man kann sich Auszeiten nehmen, um Dinge zu überdenken und anders anzugehen. So stößt man möglicherweise auf eine ganz neue, clevere Lösung für ein Problem, mit dem man sich schon länger herumschlägt. Eine solche Auszeit kann helfen, den Kopf freizubekommen.“

Allmählich wird mit dem Mythos, flexible Arbeit wäre ein Produktivitäts- und Karrierekiller, aufgeräumt.

Professor Phyllis Moen, Soziologin an der University of Minnesota, war an einer in der American Sociological Review veröffentlichten Studie beteiligt, die einmal mehr die immensen Vorteile flexibler Arbeit für Arbeitnehmer und Arbeitgeber belegte.(12)

In dieser Studie wurden die Auswirkungen eines Pilotprojekts für flexible Arbeitszeitmodelle in einem Fortune-500-Unternehmen untersucht. Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Mitarbeiter, die an dem Programm teilnahmen, waren zufriedener mit ihrem Job und litten seltener an Burnout und psychischem Stress als Mitarbeiter im selben Unternehmen, die nicht daran teilnahmen.

„Unsere Untersuchung zeigt, dass Angestellte die mitbestimmen dürfen, wann, wie lange und wo sie arbeiten, nicht nur ihren Job positiver wahrnehmen, sondern auch Berufs- und Privatleben besser unter einen Hut bekommen“, erläutert Moen. „Und vor allem arbeiten diese Angestellten effizienter und produktiver.“

Sie ergänzt: „Berufstätige werden heutzutage nur so mit Ratschlägen für eine gute Work-Life-Balance bombardiert. Wir sollen Yoga machen und meditieren oder nur noch zweimal am Tag unsere E-Mails checken. Doch mit solchen individuellen Bewältigungsstrategien allein lässt sich das Problem nicht lösen. Wie unsere Studie verdeutlicht, sind dafür Unternehmensinitiativen, wie z. B. Programme für mehr Flexibilität und Selbstbestimmung am Arbeitsplatz, und mehr Unterstützung durch Vorgesetzte nötig.“

 


Matthew Jenkin ist freier Journalist aus Großbritannien und ehemaliger Redakteur von Guardian Careers, dem Online-Portal rund ums Thema Arbeit der britischen Tageszeitung The Guardian.

Quellen:

(1) http://worldhappiness.report/ed/2018/

(2) https://flexstrategygroup.com/

(3) https://cebr.com/reports/impacts-of-a-flexible-working-culture/

(4) https://timewise.co.uk/article/press-release-the-rise-of-generation-job-share/

(5) https://www.theguardian.com/women-in-leadership/2014/apr/24/flexible-working-career-progression-work-life-balance

(6) https://www.familyfriendlyworkingscotland.org.uk/resources/FINAL-Results-paper.pdf

(7) http://www.merryck.com/wp-content/uploads/2016/02/BAIN_REPORT_The_power_of_flexibility_Boosting_gender_parity.pdf

(8) https://www.equalityhumanrights.com/en/our-work/news/shake-working-culture-and-practices-recommended-reduce-pay-gaps

(9) https://www.theguardian.com/society/2017/mar/28/improve-shared-parental-leave-to-cut-gender-pay-gap-urge-mps

(10) http://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0950017017708161?journalCode=wesa

(11) http://www.smf.co.uk/wp-content/uploads/2015/10/Social-Market-Foundation-Publication-Briefing-CAGE-4-Are-happy-workers-more-productive-281015.pdf

(12) http://journals.sagepub.com/doi/abs/10.1177/0003122415622391